Kranke Niere, krankes Herz

Die klinische Bedeutung der Kalzifizierung bei Niereninsuffizienz.

(ANÖ/erasmus) Patienten mit chronischer Nierenerkrankung weisen besonders häufig eine rapide voranschreitende Gefäßverkalkung auf. Diese Kalzifizierung begünstigt Herz-Kreislauferkrankungen. Die Kalk-Ablagerungen hängen durch viele Faktoren mit den Nieren zusammen – was die Behandlung komplex macht. Verkalkungen kennen Mediziner im Zusammenhang mit der Arteriosklerose, also der Gefäßalterung, und der Atherosklerose. Bei Letzterer lagern sich Plaques aus Fett und Kalk in der Gefäßinnenschicht ab, wozu zum Beispiel Bluthochdruck, Diabetes mellitus und erhöhte LDL-Cholesterin-Werte beitragen.

Forscher haben vor einiger Zeit einen weiteren Zusammenhang aufgedeckt: Menschen mit chronischer Nierenerkrankung, vor allem Dialysepatienten, leiden häufig unter einer besonders rapiden Verkalkung von Myokard, Herzklappen und Arterien – also unter kardiovaskulärer Kalzifizierung.

Nierenerkrankung und Gefäßverkalkung treten oft gemeinsam auf
Diese Erkenntnis weckte 1996 eine Studie von Wissenschaftlern der Universität Erlangen-Nürnberg.1 Ihre Probanden – Dialysepatienten – wiesen ein deutlich erhöhtes Maß an Kalzium in den Koronararterien auf (erhöhter Agatston CAC-Score), über die Hälfte von ihnen zeigte zudem eine Kalzifizierung an den Herzklappen. Die kardiovaskuläre Verkalkung schritt auffallend schnell voran.

Klar ist also: Menschen mit chronischer Nierenerkrankung haben aufgrund der Kalzifizierung ein stark erhöhtes Risiko für Herz- und Gefäßerkrankungen sowie eine erhöhte Mortalität. Forscher untersuchen seitdem, wie die Phänomene zusammenhängen. Laut Prof. Dr. med. Jürgen Floege, Direktor der Klinik für Nieren- und Hochdruckkrankheiten am Universitätsklinikum Aachen, gibt es eine Vielzahl verschiedener Gründe dafür, dass Menschen im Rahmen einer Nierenerkrankung schneller verkalken. “Dazu gehören ein gestörter Calcium-Phosphathaushalt, Inflammation, akzelerierte Arteriosklerose, akzeleriertes Altern, Vitamin K-Mangel, eine Übertherapie mit aktivem Vitamin D und ein Mangel an Verkalkungs-Inhibitoren”, erklärt er.

Beispiel: Sekundärer Hyperparathyreoidismus (sHPT)
Ein bereits ziemlich gut untersuchter Mechanismus ist dabei der sekundäre Hyperparathyreoidismus (sHPT), eine Störung des Stoffwechsels, die bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung unter Dialyse auftritt. Die Nebenschilddrüsen der Betroffenen schütten das Hormon Parathormon (PTH) in zu großem Maße aus. Das PTH fördert die Freisetzung von Phosphat und Calcium aus den Knochen. So kommt es zum Abbau von Knochensubstanz und zur Verkalkung von Gefäßen und Weichteilen.2

Diagnostik mit Radiologie und Echokardiografie

Ob eine Kalzifizierung vorliegt, können Mediziner mit allen Verfahren feststellen, die Kalk nachweisen. “Hauptverfahren sind dazu die radiologischen, aber auch bei einer Echokardiografie können sie Kalk gut sehen”, erklärt Prof. Floege. Allerdings geschehe das häufig per Zufallsbefund – oder eben bei Menschen mit chronischer Nierenerkrankung. Für diese gilt es, möglichst die wichtigsten Gründe für die Kalzifizierung zu bestimmen. Dem Nephrologie-Professor zufolge gelingt dies aber nicht immer, da es etwa für akzeleriertes Altern keine diagnostischen Tests gebe.

Im Fokus: Lebensqualität erhalten oder Verkalkung stoppen?
Andere Parameter, wie der Spiegel von Mineralen und Vitaminen, lassen sich wiederum ermitteln – und sollten mit darüber entscheiden, wie die Therapie der Nierenkranken modifiziert wird. Studien zeigen zum Beispiel, dass Patienten mit gut eingestellten Calcium-, Phosphat- und PTH-Werten eine geringere Mortalität aufweisen.3 Daraufhin können Ärzte bei Menschen mit chronischer Nierenerkrankung präventiv hinarbeiten – wenn die Kalzifizierung im Fokus der Therapie steht.

“Für einen 80-jährigen Dialysepatienten ist etwa das Thema Gefäß-Verkalkung in der Regel relativ irrelevant, da er eine mittlere Lebenserwartung von einem Jahr hat”, sagt Floege. “Es geht dann vielmehr darum, Lebensqualität aufrecht zu erhalten.” Anders sei das beispielsweise bei einem 20-Jährigen, der an der Dialyse hängt und auf eine Nierentransplantation wartet. “In diesem Fall werde ich mit umfassenden Maßnahmen alles tun, um die Verkalkung zu verhindern.”

PTH, Calcium, Phosphat – ein komplexes Zusammenspiel
Die beteiligten Stoffe hängen auf verschiedene Weise zusammen, was die Behandlung komplex macht. So lässt sich der PTH-Wert bei einer überaktiven Nebenschilddrüse durch die Gabe von aktivem Vitamin D senken. Aktives Vitamin D steigert allerdings die Calcium- und Phosphat-Serumwerte und darf dementsprechend nicht zu hoch dosiert sein. Ähnliche Probleme können sich bei derzeit gängigen Calcium-haltigen Phosphatbindern ergeben. “Wenn Ärzte eine starke Verkalkung therapieren möchten, ist noch mehr Kalzium nicht sinnvoll. Sie sollten dann keine kalziumhaltigen Phosphatbinder verabreichen”, so Floege. Andere Typen von Phosphatbindern enthalten zum Beispiel Aluminium – das auf Dauer dem Nervensystem schaden kann – oder Lanthan, über dessen Langzweitwirkung noch wenig bekannt ist.

Forscher untersuchen Kalzifizierungs-Inhibitoren
Seit einigen Jahren untersucht die medizinische Forschung eine möglich neue Behandlungsmethode. Die Idee dahinter: Körpereigenen Inhibitoren wie Fetuin-A und das durch Vitamin K aktivierte Matrix-Gla-Protein (MGP) hemmen die Ablagerung von Calciumsalzen im Gewebe – ihr Spiegel spielt bei der Entstehung der Kalzifizierung eine wichtige Rolle.4 Forscher möchten diese Inhibitoren nun auch für die Therapie von Patienten mit Verkalkungen nutzen. “Bislang ist das alles noch ein Forschungsfeld, es gibt keine harten klinischen Belege dafür, dass wir das System der Inhibitoren manipulieren können, oder dass das therapeutisch sinnvoll wäre”, berichtet Floege, der am Universitätsklinikum Aachen derzeit selbst zu den Inhibitoren forscht.